06. Juli 2021

Für eine klimaneutrale Mobilitätswende ohne Arbeitsplatzverluste

 

 

Allein in Deutschland sind aktuell rund 54 Mio. Automobile zugelassen. Die meisten davon mit Verbrennungsmotor. Die Automobilindustrie ist eine wesentliche Säule der bundesdeutschen Industriegesellschaft. Rund 800.000 Menschen sind hier direkt beschäftigt, die meisten davon in Tarifverträgen überdurchschnittlich bezahlt und damit sozial abgesichert. Viele andere Industriezweige und Dienstleistungsunternehmen sind direkt und indirekt von der Automobilindustrie abhängig. Zahlreiche Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen haben ihren Schwerpunkt in diesem Produktionssektor.
Und nun kommt eine Klimaschutzdebatte und gefährdet diesen Wohlstand? Nein, Ursache und Wirkung darf man nicht verwechseln. Der motorisierte Individualverkehr ist ein Hauptverursacher der Erderwärmung und Umweltzerstörung durch Klimawandel. Zwar wurden seit den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts auch immer wieder Maßnahmen ergriffen, die Ökobilanz des Autoverkehres aufzubessern. Der Rußfilter und der Katalysator waren hier fast bahnbrechende Innovationen. Auch der Treibstoffverbrauch pro gefahrenen Kilometer konnte deutlich reduziert werden. Doch gleichzeitig wurden die Autos nicht nur schneller und schwerer, es wurden auch immer mehr Fahrzeuge. Unterm Strich brachte das alles nichts.
Die Lösung sollen nun batterieelektrische Autos bieten und damit die Massenmotorisierung retten. Nachdem deutsche Autokonzerne diese Entwicklung erst vollkommen verschlafen hatten, kennen sie jetzt scheinbar nichts anderes mehr als diese sogenannte Elektromobilität. Verdrängt wird dabei, dass auch Elektroautos durch Rollgeräusche Lärm machen, dass die Landschaft und die Städte durch Straßen und Parkplätze zugeteert werden und dass es vollkommen zurecht Kritik an der Rohstoffbeschaffung für die Batterien gibt. Das Öko-Image dieser meist tonnenschweren Fahrzeuge ist alles andere als positiv, wenn man diese Bilanz mit anderen Verkehrsmitteln vergleicht.
Und ob eine vollständige Umstellung von Verbrennern auf batteriegetriebene Automobile alle Arbeitsplätze retten kann, muss auch bezweifelt werden. Zwar sind diese Autos im Verkauf teurer als Autos mit Verbrennungsmotoren. Die Wertschöpfung im Arbeitsprozess ist aber vergleichsweise geringer. Das heißt: Ein Akkufahrzeug wird mit weniger Arbeitsschritten sowohl in der Teileproduktion als auch in der Endmontage gefertigt. Durch weitere Rationalisierung und Digitalisierung verringert sich das Produktionsvolumen auf bis zu 30 Prozent der derzeitigen Arbeitsleistung. Auch dieser Prozess gefährdet hunderttausende Arbeitsplätze in diesem Industriebereich. Und High-Tech-Abgasanlagen oder Automatikgetriebe werden schlicht weg nicht mehr benötigt.
Vollkommen vergessen wird auch, dass Autos heute zwischen 30 und 40.000 Euro kosten, aber schon lange keine Wertanlagen mehr sind. Der Wertverlust nach den ersten 10 Metern liegt bereits bei 5.000 Euro, nach drei Jahren oder 50.000 km bei 50 Prozent und nach 200.000 km oder 8-10 Jahren hat das Fahrzeug praktisch keinen Verkaufswert mehr. Kein Unternehmen würde eine Anlage kaufen, die nach einer vergleichbar kurzen Nutzungsdauer auseinanderfällt. Im Automobilsektor ist das der normale und feste Bestandteil des Systems.
Die Menschen geben riesige Summen für ein Auto aus (Anschaffung, Versicherung, KFZ-Steuer, Reparaturen und Zubehör, Abschreibung etc.). Würde man diese Summe für eine Bahncard 100, ein ÖPNV-Abo, ein modernes Fahrrad und in gelegentliche Taxifahrten investieren, wäre im Vergleich zum Auto noch Geld übrig. Doch so rechnet fast niemand. Noch immer sind und Fahrzeuge, die Kraft und Schnelligkeit ausstrahlen, Statussymbole einer meist männlich geprägten Autowelt.
Was sind die Lösungen? Die Linksfraktion muss auch weiter darauf drängen, dass der öffentliche Nah- und Fernverkehr – vor allem der Bahnverkehr – ausgebaut und attraktiver gemacht wird. Genauso müssen Fuß- und Fahrradverkehre im öffentlichen Verkehrszaum zumindest gleichgestellt werden. Niemand soll mehr sagen können „ich bin auf mein Auto angewiesen“, nicht in der Stadt, nicht am Stadtrand oder nicht im ländlichen Raum. Das kostet Geld, aber nicht mehr, als heute der motorisierte Individual- und Güterverkehr verursacht.
Doch diese ganze Debatte nutzt den Menschen in den Industrie- und Dienstleistungszweigen nichts, die vom Automobilbau leben.
Die Lösung ist ein geregelter Transformationsprozess, bei dem neben den Unternehmen und dem Gesetzgeber bzw. den öffentlichen Haushalten auch die Gewerkschaften mitentscheiden. Aus einem Produkt – dem Auto – müssen zahlreiche Produkte und Industrieanlagen mit dem Potential von Exportschlagern werden. Langlebige Produkte, die Ressourcen schonen, regional hergestellt werden und beim Stichwort Digitalisierung ganz oben stehen: Umwelttechnik, Trinkwasseraufbereitung, Müllverwertung, Medizin- und Hygienetechnik, elektrisch betriebene Fahrräder und Kleintransporter, Solar- und Windenergieanlagen… . Die Liste wäre beliebig zu verlängern.
Wichtig ist aber, dass Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften einsehen, dass das Auto als Massenprodukt keine Zukunft haben wird. Auch nicht mit Batterieantrieb.

Thomas Lutze ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion und als stellvertretendes Mitglied im Verkehrsausschuss zuständig für Verkehrssicherheit.

 

 

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